(PP-Justiz) Verzögert die unterlassene Schnittentbindung die Geburt eines Kindes um ca. 23 Minuten kann das als grober Behandlungsfehler zu bewerten sein, wenn auffällige Herzfrequenzwerte des Kindes zuvor die ärztliche Entscheidung zu einer alsbaldigen Geburtsbeendigung erfordert hätten. Das hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16.05.2014 unter Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Bochum entschieden.
Der klagende Landschaftsverband ist Kostenträger des im November 2002 mit gravierenden Geburtsschäden geborenen Jungen. Aus übergangenem Recht hat er das beklagte Krankenhaus aus Witten und die dort tätige beklagte Ärztin wegen geburtshilflicher Behandlungsfehler auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Der infolge mangelnder Sauerstoffversorgung bei der Geburt schwer hirngeschädigte Junge kam im beklagten Krankenhaus zur Welt. Während des von der beklagten Ärztin betreuten Geburtsvorganges sanken die Herzfrequenzwerte des Kindes zeitweise lebensgefährlich ab. Eine Blutgasuntersuchung unterblieb. Anstelle einer Schnittentbindung wurde die Mutter zunächst ca. 15 Minuten und ohne Beschleunigung des Geburtsvorgangs auf einen Geburtshocker gesetzt, bevor es unter Einsatz von Kristallerhilfe schließlich zu einer – im Vergleich zu einer Schnittentbindung – um ca. 23 Minuten verzögerten, spontanen Geburt kam.
Die vom klagenden Landschaftsverband beantragte Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten hatte Erfolg. Nach eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm die Maßnahmen der Beklagten bei der Geburtshilfe in ihrer Gesamtheit als grob fehlerhaft bewertet. Nach den festgestellten Auffälligkeiten bei den Herzfrequenzwerten des Kindes sei der ca. 30-minütige Versuch, die Geburt unter Anwendung des Geburtshockers zu fördern, fehlerhaft gewesen. Wegen der Gefahr einer Kindesschädigung habe man sich für eine sofortige Beendigung der Geburt durch eine Schnittentbindung entscheiden müssen. Die anstelle einer Schnittentbindung in den letzten ca. 45 Minuten vor der Geburt durchgeführten Maßnahmen sein medizinisch nicht mehr nachvollziehbar und deswegen grob fehlerhaft. Hierdurch trete eine Beweislastumkehr ein. Deswegen hafteten die Beklagten für den Schaden des Kindes, auch wenn nicht sicher fest stehe, ob dieser erst infolge der ca. 23-minütigen Verzögerung vor der Geburt oder bereits zuvor eingetreten sei.
Urteil des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 16.05.2014 (26 U 178/12), nicht rechtskräftig (BGH VI ZR 272/14).
Christian Nubbemeyer, Pressedezernent
Quelle: justiz.nrw.de