(PP-Justiz) Kurzbeschreibung: Justizminister Rainer Stickelberger: „Wir wollen ein zeitgemäßes, erziehungswissenschaftlich fundiertes und effektives Konzept für den Vollzug des Jugendarrestes normieren“ – Soziales Training und pädagogische Förderung als Fundamente des Jugendarrestes
„Soziale Kompetenz ist ein wesentlicher Schutzfaktor zur Vermeidung delinquenten Verhaltens. Die Förderung der sozialen Kompetenz ist deshalb ein wesentlicher Schwerpunkt bei der Behandlung straffälliger junger Menschen“, betonte Justizminister Rainer Stickelberger am Dienstag (29. Juli ) in Stuttgart. Deshalb freue er sich darüber, dass der Gesetzentwurf über die Gestaltung und Durchführung des Jugendarrestes in Baden-Württemberg heute vom Kabinett zur Anhörung freigegeben worden sei. „Unsere Jugendarrestanstalten des Landes sollen sukzessive zu Einrichtungen für soziales Training umgestaltet werden, in denen die jungen Menschen ein bedarfsgerechtes pädagogisches Förderprogramm erhalten“, sagte der Minister. Der Jugendarrest solle sich in seiner Gestaltung und Durchführung zukünftig nicht an Jugendstrafanstalten, sondern an stationären Einrichtungen der Jugendhilfe orientieren.
Um straffällig gewordenen jungen Menschen ihre Verantwortung für das begangene Unrecht bewusst zu machen, kann gegen sie Jugendarrest bis zu vier Wochen verhängt werden. Der Vollzug des Jugendarrestes richtet sich bislang nach bundesrechtlichen Regelungen. Mit der Föderalismusreform im Jahr 2006 fiel die Zuständigkeit für den Justizvollzug insgesamt an die Länder. Nachdem Baden-Württemberg im Jahr 2010 den Strafvollzug und den Jugendstrafvollzug sowie im Jahr 2012 auch den Vollzug der Sicherungsverwahrung gesetzlich neu geregelt hat, soll mit dem vorgelegten Gesetzentwurf nun der Vollzug des Jugendarrestes umfassend reformiert werden. „Dabei haben wir langjährige Forderungen der kriminologischen Forschung und jugendkriminalrechtlichen Praxis aufgegriffen und ein zeitgemäßes, erziehungswissenschaftlich fundiertes Konzept entwickelt“, erläuterte Stickelberger. Der Gesetzentwurf sei von der Leitidee des Jugendarrestes als sozialem Trainingszentrum getragen und orientiere sich konsequent am Gedanken der gezielten pädagogischen Förderung der jungen Menschen. In Gruppenarbeit und begleitenden Einzelgesprächen solle die Sozialkompetenz der jungen Menschen nachhaltig gestärkt werden. Dabei bilde die Auseinandersetzung mit begangenen Straftaten, deren Ursachen und Folgen den Schwerpunkt des Trainings. Das soziale Training werde ergänzt durch Beratungs- und Unterstützungsangebote sowie Informations- und Bildungsangebote.
„Wir dürfen keinen jungen Menschen aufgeben“, stellte der Minister fest. „Die Erfahrung in den beiden Jugendarrestanstalten im Land zeigt, dass die meisten der straffällig gewordenen jungen Menschen gut zu erreichen sind“, erklärte Stickelberger. Der Gesetzentwurf mache sich die positiven Erfahrungen eines innovativen Projektes zunutze, dass seit Juli 2013 in Kooperation mit zwei Vereinen der freien Straffälligenhilfe und mit Unterstützung der Fraktionen im Landtag in den beiden Jugendarrestanstalten in Göppingen und Rastatt erfolgreich durchgeführt werde.
„Indem wir das moralische Bewusstsein der jungen Menschen stärken und ihnen zugleich eine gezielte pädagogische Förderung zukommen lassen, senken wir das Risiko erneuter Straffälligkeit“, sagte der Minister. Zudem würden die jungen Menschen dabei unterstützt, persönliche und soziale Schwierigkeiten zu bewältigen. Als Beispiele nannte er Beratungs- und Bildungsangebote zum Umgang mit Gewalt, Sucht oder Schulden. Auch eine Vermittlung an Hilfs- und Betreuungsstellen für die Zeit nach dem Arrest sei möglich. Stickelberger dankte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Jugendarrest sowie den beiden beteiligten Vereinen „G-Recht e.V.“ aus Heidenheim und dem „Verein für Jugendhilfe Karlsruhe“ für ihre engagierte Arbeit.
Weitere Informationen:
Der Jugendarrest gehört zur der Sanktionskategorie der Zuchtmittel. Diese sind konzeptionell zwischen Erziehungsmaßregeln (wie z. B. Arbeitsweisung bzw. Arbeitsauflage) und Jugendstrafe angesiedelt, haben jedoch nicht die Rechtswirkungen einer Strafe. Die Verhängung eines Zuchtmittels kommt dann in Betracht, wenn die Anordnung von Erziehungsmaßregeln nicht mehr ausreicht und die Verhängung von Jugendstrafe (noch) nicht geboten ist. Jugendarrest als schärfstes der Zuchtmittel wird angeordnet, wenn dem jungen Menschen mit der Verhängung einer freiheitsentziehenden Maßnahme eindringlich zum Bewusstsein gebracht werden muss, dass er für begangenes Unrecht einzustehen hat. Durch das Gesetz zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten vom 4. September 2012 ist der Anwendungsbereich des Jugendarrestes dahingehend erweitert worden, dass er unter bestimmten Voraussetzungen auch neben einer Jugendstrafe verhängt werden kann, deren Vollstreckung oder Verhängung zur Bewährung ausgesetzt wird.
Die Idee eines Jugendarrestes als stationäre Sanktion unterhalb der Jugendstrafe reicht zurück bis in das frühe 20. Jahrhundert, eingeführt wurde der Jugendarrest allerdings erst im Jahr 1940. Anfang der 1950er-Jahre wurde er in das Jugendgerichtsgesetz übernommen. Im Zuge der Strafvollzugsreform im Jahr 1976 wurden erstmals sozialpädagogische Elemente in den Vollzug des Jugendarrestes übernommen.
In Baden-Württemberg gibt es zwei Jugendarrestanstalten: Die zentrale Anstalt für den badischen Landesteil befindet sich in Rastatt. Sie ist eine Außenstelle der Justizvollzugsanstalt Karlsruhe. In Rastatt stehen 51 Arrestplätzen zur Verfügung, 13 davon für junge Frauen, 38 für junge Männer.
Die Jugendarrestanstalt in Göppingen, deren Zuständigkeit den württembergischen Landesteil umfasst, ist eine eigenständige Vollzugseinrichtung. Sie bietet 31 Arrestplätze, 9 für junge Frauen und 22 für junge Männer.
Im vergangenen Jahr wurden landesweit 1661 Jugendarreste vollzogen (2012: 1820; 2011: 1877). 957 der jungen Menschen im Arrest waren älter als 18 Jahre, 562 von ihnen waren zwischen 16 und 18 Jahre alt und 142 waren jünger als 16 Jahre. Bei 75 Prozent der Arreste im Jahr 2013 handelte es sich um sogenannte Dauerarreste von einer bis zu vier Wochen. 15 Prozent waren Freizeitarreste, die eine bis zwei Freizeiten (Wochenenden) umfassen. 9 Prozent entfielen auf Kurzarreste von zwei bis vier Tagen Dauer.
Quelle: jum.baden-wuerttemberg.de